Ins Garn gegangen.

Von Paul Bliß
in: „New Orleanser Deutsche Zeitung” vom 20.11.1898,
in: „Pohjois-Savo” vom 07.03.1906 (hier: Ansassa),
in: „Mikkelin Sanomat” vom 15.03.1906 (hier: Ansassa),
in: „Vaasa” vom 15. und 17.03.1906 (hier: Ansassa)


Vor der Bank, die unter dem blühenden Hollunder neben der Orpheus-Statue steht, geht ein eleganter junger Mann erregt auf und ab. Bald steht er still, sieht sich nach allen Seiten um, suchend und hoffend, zieht die Uhr, schüttelt unwillig den wohlfrisirten Kopf und nimmt dann den Spaziergang wieder auf.

Je weiter die Zeit vorschreitet, desto ungeduldiger wird er. „Wenn sie nun nicht käme!” knurrt er halblaut. „Schon zehn Minuten nach vier, — es wäre verflucht ärgerlich!” — Und dann zieht er wiederum die Uhr, schüttelt noch einmal den Kopf und beginnt von Neuem auf und ab zu patrouilliren.

Plötzlich sieht er, wie ein alter Herr geradewegs auf die Bank lossteuert.

„Na, er wird doch nicht etwa gar —!”

Aber schon ist es geschehen. Der alte Herr, ein heiterer Sechziger, sieht den jungen Elegant lächelnd an und fragt: „Sie gestatten doch?”

Der aber ist wüthend, sagt nur ganz kurz: „Bitte!” und setzt dann seinen Dauerlauf vor der Bank fort.

Inzwischen hat der Alte es sich nach Kräften bequem gemacht.

„Dies ist nämlich mein Lieblingsplatz,” beginnt er dann, „hier pflege ich immer eine Stunde Nachmittags frische Luft zu schöpfen.”

„So, so,” sagt der Junge nur; heimlich aber wünscht er den Alten Gott weiß wohin.

„Fast der schönste Platz im ganzen Park.”

„Ja, ja!”

„Sie erwarten wohl Jemand?”

„Hm . . . wie meinen Sie?”

„Na, na,” droht lächelnd der Alte, „gewiß ein kleines heimliches Stelldichein, — wie?”

Der gerade Weg ist der beste, denkt der Junge, und so antwortet er freiweg: „In der That, mein Herr, Sie haben das Richtige getroffen, ich erwarte hier eine Dame, und deshalb wäre ich Ihnen sehr dankbar —”

„Aber selbstverständlich!” Sofort erhebt sich der Alte.

Nun ist der Andere wieder allein. Zwar ist jetzt das Terrain wieder frei, aber ruhiger ist er trotzdem nicht. Minute auf Minute verrinnt und die Erwartete kommt nicht . . . . Jetzt weiß er schon garnicht mehr, was er vor Ungeduld machen soll. Und wieder zieht er das Briefchen heraus — zum zehnten Mal geschieht es nun schon! — und wieder durchfliegt er die Zeilen: um 4 wollte sie kommen und jetzt ist es ein Viertel vor 5 Uhr.

Da kommt der alte Herr langsam den Weg zurück.

„Ah, mein junger Freund,” sagt er mit ganz leiser Ironie, „man hat Sie wohl — hm — versetzt?”

Der Junge ist wüthend über die Blamage, er möchte am liebsten grob werden, nimmt sich aber zusammen und meint mit verstellter Heiterkeit: „Ja, so sind die Frauenzimmer: Pünktlichkeit ist ihre Tugend nicht.”

Und der Alte mit feinem Spott: „Mit Verlaub! Sie müssen aber schon sehr verliebt sein, daß sie für die Verspätung einer Stunde noch eine Entschuldigung finden.”

Wieder schluckt der Junge eine ärgerliche Entgenung herunter, stellt sich aber ganz ruhig und sagt: „Sie haben übrigens ganz recht, — man darf sich nicht zu viel bieten lassen, — ich werde nicht mehr länger warten.”

„Ah! Bravo junger Freunde! damit erreichen Sie auch entschieden mehr.”

Der Junge dankt verbindlich lächelnd. „Wenn Sie gestatten, schließe ich mich Ihnen an.”

„Ich bitte darum.”

„Gestatten: Rhode, Referendar.”

„Sehr angenehm! Mein Name ist Bergemann.”

Verbeugung von beiden Seiten und dann gehen sie langsam fort von der lauschigen Bank unter dem blühenden Hollunder.

Nach einer Weile fragt der Alte: „Wie wäre es, wenn wir nun einen guten Schoppen trinken gingen, damit Sie den Aerger hinunterspülen —?”

„O, ich bin durchaus kein Unmensch . . .”

Recht so! — Dann kommen Sie nur, ich weiß einen stillen Winkel, wo es einen wundervollen Rauenthaler giebt, dorthin retten wir uns.”

Zehn Minuten später saßen sie beim Wein.

&bdqo;Ja, ja, die Liebe,” — sagte lächelnd der Alte und hielt den goldhellen Wein gegen das Licht, — „so lange man noch die Fünfzig vor sich hat, so lange hat man ja keine Ruhe, — oh, ich kenne das, war auch mal sehr jung, — aber froh war ich doch, als ich mich nach und nach hinausrettete aus dem wilden Trubel; und noch froher war ich, daß ich mir die goldene Freiheit erhalten hatte, — da erst fing ich an, mit Methode zu leben!”

„Sie sind ein Feind der Ehe?”

„Oh nein, das nicht gerade, aber heiraten wollte ich trotzdem nicht.”

Der Referendar lächelte nur und trank das zweite Glas leer.

„Aber weshalb denn?”

„Ich schätze eben die Freiheit höher. Hab' ich vielleicht so Unrecht darin?”

Der Referendar lächelte wieder. Er hatte zu schnell getrunken, so daß er nicht mehr so ganz klar war. „Sie sprechen von der Höhe Ihrer Lebenserfahrung herab,” sagte er, „ich aber will diesen berg erst erklimmen.”

Der Alte nickte. „Machen Sie sich trotzdem meine Weisheit zu Nutze.”

Kleine Pause . . .

Der Referendar merkte, daß der Wein ihm zu Kopf stieg; zuerst war ihm das unangenehm; dann aber kümmerte er sich nicht weiter darum, und endlich fand er ein geheimes Wohlbehagen daran, seine enttäuschte Hoffnung hier bei einem guten Tropfen zu vergessen. So trank er tapfer weiter.

„Wissen Sie,” begann der Alte wieder, „daß ich heute, als ich von Ihnen fortging, furchtbar neugierig war! Fortwährend fragte ich mich: ist das nun wohl eine ernste Herzenssache oder nur eine kleine Liebelei?”

Der Referendar lächelte überlegen:„Nein, verehrter Herr, es ist eine sehr ernste Sache; ich will thatsächlich meine goldene Freiheit verkaufen.”

„Verkaufen?” fragte der Alte mit gedehnter Stimme und schaute ernster drein.

„Nun ja, um bei Ihrem Scherz von vorhin zu bleiben,” sagte der Andere leichthin lächelnd, und trank wiederum sein volles Glas leer.

Jetzt spielte der Alte wieder den Cyniker. „Sie haben meine Worte vorhin als Scherz aufgefaßt,” sagte er, „mir aber war es bitterer Ernst; ich glaube einfach nicht an eine Liebesheirat. Genußsucht oder Geschäft, das sind die Gründe; — und das große Unglück unserer Männer ist, daß sie mit zu viel Idealen und Illusionen in die Ehe gehen, — da kann ja natürlich der Rückschlag nicht ausbleiben.”

Der Referendar sah den alten Herrn scharf an. Er wußte ja nicht mehr genau, was er von ihm halten sollte. War das Ernst oder Ironie? Darüber war er sich nicht ganz klar. Und je mehr er durch die Brillengläser ihm gegenüber sah, um den Ausdruck der Augen dahinter zu ergründen, desto mehr mußte er erkennen, daß sein klarer Verstand rapid wich und daß die Weinstimmung mit ihm durchzugehen anfing. Anfangs noch wehrte er sich ein wenig dagegen, schließlich aber mußte er den Widerstand aufgeben und ließ es gehen wie es wollte.

„Und soll ich Ihnen mal sagen,” sprach lächelnd der Alte weiter, „daß ich Sie für einen kleinen . . . Schwerenöther halte —?”

„Oh, ich bitte, ich bitte,” meinte der Referendar geschmeichelt, aber er hatte schon einen kleinen Zungenschlag.

„Allen Ernstes! Sie haben trotz Ihrer jungen Jahre auch schon das Leben bis zur Neige ausgekostet, und nun sagen Sie sich: Schluß! Klaren Tisch! eine reiche Frau! und Schwiegerpapa bezahlt die Sünden!”

Jetzt lachte der Referendar schallend auf.

„Stimmt es nicht?”

„Es stimmt, aber Herr, — es stimmt! . . . wahrhaftig! Sie sind ein — Gedankenleser, alter Herr!” lachte lallend der schwer heitere Referendar. „Es stimmt! Alles! ich habe . . . Schulden und muß . . . reich heirathen! Also — wenn schon, denn — schon . . . je eher, je besser! . . . Vielleicht gewöhnt mn sich an den — Philister-Stiebel.” Er lachte laut: „Na prost! es lebe die Liebe! hahahaha!”

Jetzt wurde der alte Herr ein wenig reservirter, sprach wenig und horchte genauer auf.

Der Andere dagegen, jetzt vollständig trunken, kramte nun alles aus, was er auf dem Herzen hatte, — daß er total verschuldet sei und daß nur eine reiche Heirath ihn retten könnte, und schließlich holte er das Bild seiner Zukünftigen heraus und rief: „Hier sehen Sie mal das kleine Gänschen an, — — ganz netter Käfer, wie? . . . Na, ich werd' sie mir schon . . . erziehen, daß sie mir nicht . . . die Stränge zu hoch hält!”

Plötzlich erhob sich der alte Herr, nahm das Bild dem Anderen aus der Hand und steckte es ein. Er schien ganz verändert.

„Herr Referendar,” sagte er scharf, „ich bin der Vormund der jungen Dame, deren Bild ich hiermit zurücknehme.”

Damit ließ er den junge Mann stehen, winkte dem Kellner, um ihn zu bezahlen und verließ das Lokal . . .

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